Andreas Silbermann / Wolkenbilder/ von Ian Daniel Schleif
 
Wolken waren Jahrtausende lang für Menschen etwas Unerklärliches, weit Entferntes und nicht Greifbares. Selbst heute, in einer Zeit, in der jeder schon einmal mit dem Flugzeug durch dichte Regenwolken geflogen, oder sonnenbestrahlte Cumuluswolken von oben bestaunt hat, kann keiner tatsächlich sagen, wie Wolken denn  nun riechen, schmecken oder sich anfühlen. Für den Künstler stellen sie eine Herausforderung dar: Er kann Stoffe, Haut, Rüstungen, Felle, Holz, Blüten, ja sogar Wasser intensiv einer Untersuchung aus der Nähe unterziehen. Er kann die Beschaffenheit ertasten und die Oberflächen unter wechselndem Lichteinfall studieren. All diese Möglichkeiten bleiben ihm bei Wolken verwehrt. Für Andreas Silbermann spielen Wolken bei seinen neuesten Arbeiten eine große Rolle. Er wirft, unter anderem, die Frage auf wie nah ein Künstler sich seinen Motiven denn nähern kann oder muss. Die Arbeiten zeigen Ausschnitte von verschiedensten Orten in Europa. Und doch könnte man sich einen Spaziergang vorstellen, an einem warmen Frühlingstag nach einem trüben, dunklen Winter. Man geht durch die Stadt und zum ersten Mal seit Monaten ist es ein Gehen, Flanieren und kein gegen Regen oder Wind ankämpfendes Hetzen von A nach B. Wir heben unseren Blick nach oben, gen Himmel und wenn auch die Sonne nur ab und zu etwas blinzelt, so genießen wir doch die Aussicht, oder die Hoffnung auf den Sommer. Neben zart knospenden Bäumen rücken immer wird städtische Elemente ins Blickfeld: Kirchturmspitzen, Flutlichtmasten, Brückengeländer und Stromleitungen. So erwartungsvoll der Blick nach oben auch geht, so sehr werden wir durch Straßenlaternen, Balkone und Giebel daran erinnerte wo wir uns befinden. In von Menschenhand gestalteter Umgebung. In unserem städtischen Lebensraum ist es dem Auge nicht vergönnt in die Ferne zu schweifen, oder ungestört von Werbetafeln und vorbeibrausenden Bussen zu verweilen. "Stadtluft macht frei" war der vor Jahrhunderten gültige Grundsatz, demzufolge nach ein Bauer nach "Jahr und Tag" (d.h. nach einem Jahr und einem Tag), die er in einer freien Reichsstadt gelebt hat, frei von Leibeigenschaft und Frondiensten wurde. Doch heutigen Stadtbewohnern ist die freie Entfaltung des Blicks oft nicht möglich. Sich eigene Aussichten  zu gestalten war schon immer ein Privileg der Reichen und Mächtigen. Mit einer Länge von über vier Kilometern ist die Wilhelmshöher Allee in Kassel eine der längsten Stadtstraßen in Deutschland. Die Landgrafen und Kurfürsten von Hessen-Kassel sorgten mit dieser Sichtachse dafür, dass ihre Untertanen stets auf Schloss Wilhelmshöhe blicken konnten und demonstrierten so ihre Macht. Und heutzutage zählen Penthäuser und Hanglagen mit Aussicht zu den teureren Möglichkeiten zu wohnen. Auch wenn die Gedanken frei sind, die Aussichten sind es wohl nicht. Was bleibt dem Städter also übrig, als den Kopf nach hinten zu legen und etwas in den Himmel zu blinzeln? Diesen Blickwinkel greift Andreas Silbermann mit seinen Bildern auf. Der Betrachter folgt diesem Angebot, doch schon bald setzt sich die menschliche Neugier durch. Warum sehe ich denn nur die oberste Etage des Hauses, was passiert denn weiter unten? Verpasse ich etwas, oder wird mir gar etwas vorenthalten? Ob Verkehrsunfall, Loveparade, ein schlenderndes Liebespaar oder Banksy, der gerade ein Graffiti sprüht: Durch den fest gelegten Bildausschnitt bleibt uns dies alles verwehrt. In der Vergangenheit hatte die Kunst oft mit Zensur zu kämpfen weil etwas Bestimmtes dargestellt wurde. Das konnten karikierte Herrscher, Kriegsgräuel oder eine Nackte beim Picknick im Grünen sein. Andreas Silbermann geht einen Schritt weiter. Jetzt ist es nicht der Künstler, der zensiert wird, sondern der Künstler zensiert den Betrachter. Und das ironischerweise mit einem Blick in den grenzenlosen Himmel.